Rezession und Inflation – Werden die Gefahren unterschätzt?
Liebe Leserin, lieber Leser,
die Aktienmärkte zeigen sich weiterhin stärker als von vielen erwartet. Der marktbreite US-Index S&P 500 ist nicht weit von seinem Jahreshoch entfernt und sein europäisches Pendant Stoxx Europe 600 ist vor kurzem sogar auf das höchste Niveau seit Februar 2022 gestiegen. Das scheint weder zu den Spekulationen über eine Rezession in den USA zu passen noch die anhaltenden Belastungen für die europäische Wirtschaft durch steigende Zinsen und hohe Inflation widerzuspiegeln.
Sind die Anleger zu optimistisch? Auf diese Frage gibt es wie so oft keine eindeutige Antwort. Die Stimmung Ende 2022 erwies sich im Nachhinein jedenfalls als zu schlecht. Viele Anleger waren und sind daher möglicherweise immer noch unterinvestiert und laufen nun den Kursen hinterher. Dieser Nachholbedarf gibt den Börsen derzeit Auftrieb. Von euphorischer Kauflaune kann allerdings z.B. angesichts der zahlreichen Warnungen vor einer Rezession in den USA keine Rede sein.
Die Inflationsraten sinken wieder
Ein wichtiger Grund für die steigenden Kurse insbesondere in den USA ist die wieder deutlich gesunkene Inflationsrate und die damit verbundene Hoffnung auf ein Ende der Zinserhöhungen. Mehr noch: Viele Anleger rechnen in der zweiten Hälfte dieses Jahres bereits wieder mit Zinssenkungen durch die US-Notenbank. Das könnte sich aber als verfrüht erweisen, so haben mehrere US-Notenbanker vor dieser Annahme gewarnt.
Laut Christopher Waller, Mitglied des geldpolitischen Entscheidungsgremiums der FED, sei die Inflation immer noch zu hoch und Anleger sollten in nächster Zeit keine Zinssenkungen erwarten. Die Probleme im Bankensektor seien im Griff und kein Grund von diesem Kurs abzuweichen. Tatsächlich wird bei der nächsten Sitzung der FED am 3. Mai mit einer weiteren Anhebung des Leitzinses um 25 Basispunkte gerechnet.
Dabei ist der Rückgang der Inflationsrate in den USA durchaus beeindruckend. Nach dem Hoch bei mehr als 9 Prozent im Juni 2022 ist die Jahresrate beim Konsumentenpreisindex im März überraschend deutlich auf 5,0 Prozent gefallen, das ist immerhin der geringste Anstieg seit Mai 2021:
Allerdings ist die Kernrate ohne die volatilen Nahrungsmittel- und Energiepreise im März auf 5,6 Prozent gestiegen. Das ist Wasser auf die Mühlen derjenigen, die wie Waller vor einer Festsetzung der hohen Inflationsraten warnen. Erneut gestiegene Inflationserwartungen der US-Konsumenten unterstreichen diese Gefahr.
Nach der monatlichen Umfrage der Uni Michigan rechnen die US-Haushalte mit einer Inflationsrate von 4,6 Prozent in den nächsten 12 Monaten, noch im Vormonat lag die Erwartung bei 3,6 Prozent. Ein aktueller Report der Cleveland-FED bestätigt das. Ein wichtiger Grund für die höheren Inflationserwartungen sind die nach der OPEC-Entscheidung zur Kürzung der Ölförderung wieder gestiegenen Energiepreise. Das stellt auch eine Herausforderung für die Geldpolitik nicht nur der US-Notenbank, sondern auch der EZB dar.
Dennoch gibt es auch gute Argumente für weiter abnehmenden Inflationsdruck. Und in der Tat gehen die US-Notenbanker trotz aller Rhetorik davon aus, dass der Zinserhöhungszyklus vor dem Ende steht.
Ich zähle hier 4 Gründe dafür auf:
1. Die US-Industrie befindet sich bereits in einer Rezession. Insgesamt ist die US-Konjunktur dank einer hohen Nachfrage nach Dienstleistungen immer noch robust, aber z.B. am Immobilienmarkt ist durchaus eine Abkühlung spürbar. Auch die US-Industrie befindet sich in einem Abschwung, wie der steile Rückgang des Einkaufsmanagerindexes für das verarbeitende Gewerbe (ISM-Index) seit Anfang 2022 zeigt. Der als Konjunkturbarometer geltende Index ist auf den tiefsten Stand seit dem Corona-Einbruch im März 2020 gefallen.
2. Der Arbeitsmarkt zeigt Zeichen einer Abschwächung. Noch ist der Arbeitsmarkt in den USA sehr angespannt. Auf einen arbeitslos Gemeldeten entfallen 1,7 offene Stellen, das ist ein historisches Hoch bei diesem Indikator. Aber die für großes Medienecho sorgenden Entlassungen nicht nur bei Technologiekonzernen zeigen, dass diese Stärke bröckelt. Im verarbeitenden Gewerbe, im Immobiliensektor und im Einzelhandel gab es im März einen Beschäftigungsabbau. Nur die Sektoren Freizeit und Gesundheit sowie andere Dienstleistungsbereiche haben dafür gesorgt, dass es unter dem Strich dennoch einen Beschäftigungsaufbau gab.
3. Die Haushalte kommen zunehmend unter Druck. Die jüngsten Arbeitsmarktdaten haben auch gezeigt, dass wieder mehr Menschen dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Die so genannte Partizipationsrate steigt seit November wieder, nachdem sie für viele Experten überraschend trotz der starken Konjunktur über das Jahr 2022 hinweg stagnierte. Das könnte damit zusammenhängen, dass die sehr umfangreichen Corona-Hilfen und die Ersparnisse zunehmend aufgebraucht sind. Der ökonomische Druck weniger lukrative Jobs anzunehmen wächst offenbar.
Dazu tragen sicher auch die gestiegenen Lebenshaltungskosten bei. Denn auch wenn die Inflationsrate auf Jahresbasis gesehen sinkt und es auch von Monat zu Monat kaum noch Anstiege gibt, heißt das ja nicht, dass die Preise in großem Umfang wieder fallen. Das zur Verfügung stehende Gehalt und die Ersparnisse haben durch den Sprung beim Preisniveau dauerhaft an Kaufkraft verloren.
4. Die Preissetzungsmacht der Unternehmen nimmt ab. Viele Unternehmen haben die hohen Inflationsraten genutzt, um Preiserhöhungen durchzusetzen, die über ihre gestiegenen Kosten hinausgingen. Die durch die starken Preisbewegungen verursachte Intransparenz, sowie die bislang immer noch hohe Nachfrage der Konsumenten in vielen Bereichen hat das ermöglicht. Mehrere Studien auch aus Deutschland belegen das. Eine geringere Nachfrage und ein wieder stabileres Preisniveau schränken diesen Spielraum mehr und mehr ein. Angesichts weiter steigender Kosten z.B. durch höhere Löhne bremst das nicht nur die allgemeine Inflationsentwicklung, sondern wirkt sich auch negativ auf die Gewinnmargen aus.
Diese 4 Punkte – man könnte vermutlich noch weitere finden – sind gute Argumente dafür, dass die US-Notenbank die Zinsen nicht weiter anhebt. Und auch wenn Waller sowie andere US-Notenbanker beschwichtigen: Die jüngsten Probleme im Bankensektor haben gezeigt, dass bei einem zu schnellen Zurückfahren der Liquidität mit dem wünschenswerten Ziel die extrem aufgeblähte Bilanz der US-Notenbank wieder zu verkürzen, das System stark unter Stress gesetzt wird. Das kann zu Kontrollverlust führen, und den will die FED unbedingt vermeiden.
Starke Rezession unwahrscheinlich
Doch das allein reicht als Grund für eine baldige Wende in der Geldpolitik und Zinssenkungen nicht aus. Dazu könnte es nur kommen, wenn die Wirtschaft in eine scharfe Rezession mit sich selbst verstärkenden Effekten abrutscht. Dagegen sprechen aber die Robustheit des Arbeitsmarkts und die gute Einkommenssituation der Haushalte.
Die von mir genannten Argumente für abnehmenden Inflationsdruck sind nicht ausreichend, um eine Abwärtsspirale auszulösen. Zumal auch die Ausgabenprogramme der US-Regierung dazu beitragen, dass viele Unternehmen trotz einer sich aktuell abschwächenden Konjunktur positiv nach vorne blicken. Das gilt nicht zuletzt auch für das Baugewerbe.
Lass Dich vom Schlagwort Rezession nicht verunsichern. Es ist nicht entscheidend, ob die US-Wirtschaft mal zwei Quartale leicht schrumpft oder nur schwach wächst. Eine starke Rezession ist jedenfalls unwahrscheinlich – aber natürlich auch nicht ausgeschlossen. Sollte es dazu kommen, dann würde die US-Notenbank wohl die Liquidität im Finanzsystem wieder erhöhen und möglicherweise auch die Zinsen senken. Allerdings ist eine starke Rezession kein für den Aktienmarkt positives Szenario.
Die Aktienmärkte scheinen allerdings auf das Szenario einer leichten Rezession mit der Aussicht auf Zinssenkungen der US-Notenbank eingestellt zu sein. Das ist nicht realistisch, und damit auch zu optimistisch.
Mein Fazit
Heißt das nun "raus aus Aktien"? Keineswegs. Der unerwartete Kursanstieg der letzten Monate hat einmal mehr gezeigt, dass es gut ist langfristig am Aktienmarkt investiert zu sein. Auch jetzt kann es anders kommen, als es derzeit wahrscheinlich erscheint und die von vielen erwartete Korrektur kann ausbleiben. Generell funktioniert es in einem langfristigen Depot selten, die Performance durch Ausstieg und Wiedereinstieg zu erhöhen. Das richtige Timing ist extrem schwierig und die Gefahr ist groß gute Börsenphasen zu verpassen, denn diese kommen eben häufig unerwartet.
Anders sieht es in einem aktiv gemangten mittel- und kurzfristig ausgerichteten Depot aus, hier muss man auf unterschiedliche Börsenphasen reagieren. In der aktuellen Situation wäre es angesichts des Risikos einer Korrektur fahrlässig voll am Aktienmarkt investiert zu sein. Spekulative Positionen halte ich derzeit eher klein, mit weit gesetztem Stopp. Ich spreche hier nicht vom Daytrading, sondern von Positionen, die auf mehrere Tage, Wochen oder Monate angelegt sind.
Und natürlich ist es klug zu diversifizieren und auch auf Märkte wie Edelmetalle, Bitcoin oder Anleihen zu setzen, denn diese entwickeln sich häufig entgegengesetzt zu den Aktienindizes.
Meine Empfehlung
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Herzliche Grüße und bis kommende Woche
Dein
Lars Erichsen
Chefredakteur Rendite-Report
www.rendite-report.de
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