Strukturelle Probleme bremsen das Wachstum...
Liebe Leserin, lieber Leser,
die Wirtschaft in China erholt sich nach der Aufhebung der strikten Covid-Restriktionen nicht so nachhaltig wie erhofft. Der Anstieg des Bruttoinlandsprodukts um 4,5 Prozent p.a. im 1. Quartal machte noch Hoffnungen, dass ein stabiler Aufwärtstrend gestartet wurde. Doch zuletzt enttäuschten die meisten Konjunkturdaten.
So stagnierte die Industrieproduktion im April mehr oder weniger gegenüber dem Vormonat (+0,12%), der Vergleich mit dem Vorjahr ist wegen des Lockdowns in der wichtigen Wirtschaftsregion Shanghai im April 2022 wenig aussagekräftig. Auch die Einzelhandelsumsätze legten gegenüber dem Vormonat nur um 0,49 Prozent zu, nach +0,78 Prozent im März.
Das klingt alles nicht dramatisch und könnte auch nur ein zeitweiliger Rückprall nach den relativ starken Vormonaten sein. Aber die Zahlen korrespondieren mit Schwächen in anderen Bereichen: Der Rückgang der Importe im April um 7,9 Prozent gegenüber dem Vorjahr bestätigt die sich abflachende Binnennachfrage. Auch der Export entwickelte sich nicht so dynamisch wie erhofft, obwohl die Lieferengpässe immer mehr an Bedeutung verlieren. Der Einkaufsmanagerindex für die Industrie ist in den kontraktiven Bereich gefallen, bei den neuen Exportaufträgen gab es sogar einen regelrechten Einbruch.
Niedrige Inflationsrate ein Zeichen der Schwäche
Die Vorstände von US-Unternehmen wie PepsiCo, Qualcomm und Cummins äußerten sich zuletzt sehr vorsichtig zu den Wachstumsaussichten in China. Da werden nicht nur in China die Rufe nach einer expansiveren Geldpolitik und nach mehr staatlicher Stimulierung der Konjunktur lauter.
Auf den ersten Blick ist das auch alles andere als abwegig, denn während Europa, die USA und viele andere Länder nach wie vor mit hoher Inflation zu kämpfen haben, droht in China eher eine Deflation. Jedenfalls ist die Inflationsrate bei den Konsumentenpreisen im April auf mickrige 0,1 Prozent gefallen:
Bei den Produzentenpreisen setzte sich auch im April der Rückgang der letzten Monate fort, es gab ein Minus von 3,6 Prozent. Das zeigt die geringe Preissetzungsmacht der Unternehmen angesichts einer schwachen Nachfrage.
Die Konjunktur über Erleichterungen bei den Kreditbedingungen und über staatliche Investitionen anzukurbeln, hat in den vergangenen Jahrzehnten meist gut funktioniert. Aber das hat große strukturelle Probleme mit sich gebracht, die sich bei einer Neuauflage dieser Politik nur verstärken würden. Und der Erfolg wäre fragwürdig, denn das Wachstum wird durch eben diese strukturellen Probleme gebremst.
So ist die Verschuldung des Staates, der Unternehmen und der Haushalte zusammengerechnet dreimal so hoch wie das aktuelle Bruttoinlandsprodukt. Peking hat in den letzten Jahren die daraus entstehenden Gefahren für die Stabilität des Finanzsystems erkannt und den Kredithahn nach und nach zugedreht. Viele Immobilienunternehmen wurden dadurch in Schieflage gebracht und auch private Haushalte gerieten in finanzielle Schwierigkeiten.
Die Daumenschrauben wurden bereits seit einiger Zeit etwas gelockert, aber es ist nicht zu erwarten, dass von dieser Stabilitätspolitik nun grundsätzlich abgerückt wird. Auch einer Ankurbelung der Konjunktur über verstärkte Investitionen in die Infrastruktur und industrielle Kapazitäten sind enge Grenzen gesetzt. Das Nationale Statistikamt selbst spricht davon, dass unzureichende Nachfrage den Industriesektor einschränkt. Der Aufbau weiterer Kapazitäten wäre da kontraproduktiv.
Die Konsumenten sind verunsichert
Stattdessen soll als erklärtes Ziel die Inlandsnachfrage gestärkt werden, das würde auch unabhängiger von den Exportmärkten und nicht zuletzt von den USA machen, ein wichtiges politisches Anliegen. Doch das hat bisher nicht so funktioniert wie gewünscht. Die Wohlhabenden kaufen zwar weiter kräftig Luxusgüter, aber die große Mehrheit der Chinesen zeigt sich beim Konsum zurückhaltend. Es wird mehr Geld für die nun wieder möglichen Reisen ausgegeben und für Dienstleistungen, dafür wird an anderer Stelle, z.B. bei größeren Anschaffungen, gespart.
Hauptgrund dafür: Die Anti-Covid-Politik hat viele um ihre Jobs gebracht und für eine große Unsicherheit gesorgt. Dazu kommt der Anstieg der Zinsen für Kredite und so manche geplatzte Hoffnung auf Wohneigentum. Die Jugendarbeitslosigkeit ist immer noch bei 19,5 Prozent, die Konjunkturerholung hat bislang nicht zu einer deutlichen Verbesserung der Arbeitsmarktlage geführt. Und das obwohl auch China mit einer Überalterung der Bevölkerung zu kämpfen hat.
Kurz gesagt: Der private Konsum war in China in den letzten Jahren kein Wachstumstreiber und es sieht nicht so aus, als würde sich das 2023 ändern. Seit 2017 übersteigt das Sparen der Haushalte die Aufnahme neuer Kredite. So wird dem Wirtschaftskreislauf quasi Geld entzogen. Seit 2022 hat sich dieser Trend noch deutlich verstärkt. Zukunftsangst ist dafür nur ein Grund, der andere ist die Korrektur einer Fehlentwicklung: Die Verschuldung der Haushalte ist in Relation zum verfügbaren Einkommen von 20 Prozent im Jahr 2009 auf aktuell 100 Prozent gestiegen.
Mehr Liquidität ins System zu pumpen, wird an diesem strukturellen Problem nichts ändern und die Haushalte auch nicht dazu bewegen mehr zu konsumieren. Dafür wäre mehr Vertrauen nötig, u.a. in die Sicherheit der Arbeitsplätze und der Immobilienfinanzierungen.
Ausländische Anleger weiterhin zurückhaltend
Der Aktienmarkt in China wird aber nicht nur durch die enttäuschende Konjunkturentwicklung belastet, sondern auch durch die Zurückhaltung vor allem langfristig orientierter Anleger aus dem Ausland. Es besteht große Unsicherheit darüber, wie die Risiken einer Zuspitzung der Konfrontation mit den USA bis hin zu einem militärischen Konflikt bewertet werden sollen. Die strikten Sanktionen gegen Russland waren da für viele Anleger eine deutliche Warnung.
Die seit der ersten Rallye im Anschluss an das Ende der Null-Covid-Politik inzwischen verhaltene Entwicklung am chinesischen Aktienmarkt verstärkt zudem nicht den Handlungsdruck. Es sieht derzeit nicht so aus, als würde man als Anleger etwas verpassen, und da scheint es besser abzuwarten.
Zahlen zu den in den USA ansässigen China-Fonds zeigen, dass deren Fondsvolumen im Oktober 2022 auf ein Rekordtief gefallen ist, bereits seit 4 Jahren gibt es hier einen Abwärtstrend. HSBC Research spricht davon, dass globale Fonds in China untergewichtet sind. Die im Vergleich z.B. zum MSCI World schwache Entwicklung des MSCI China Index in den letzten Jahren ist ein Spiegelbild dieser Zahlen.
Neben all dem Negativen gibt es aber auch Positives: Am Immobilienmarkt sind die Umsätze zuletzt wieder gestiegen. Das könnte darauf hindeuten, dass der Tiefpunkt hier erreicht ist. Zum Wachstum wird der Sektor aber wegen der anhaltenden Finanzprobleme vieler Bauentwickler vorerst wenig beitragen. Der demografisch bedingte Rückgang der Erwerbsbevölkerung wird zudem auch im Bausektor langfristig die Nachfrage dämpfen.
Mein Fazit
Anders als in früheren Schwächephasen der Weltwirtschaft, z.B. nach der Finanzkrise 2008, kann China derzeit nicht zum globalen Konjunkturmotor werden. Das Land würde selbst Impulse durch eine höhere Exportnachfrage benötigen, doch die sind derzeit nicht in Sicht, jedenfalls nicht im ausreichenden Maß.
Inwieweit die strukturellen Probleme, die politischen Risiken und die enttäuschende Post-Covid-Dynamik bereits in den Aktienkursen enthalten ist, darüber lässt sich trefflich streiten. Viele Aktien sind jedenfalls teils sehr niedrig bewertet. Doch die Volatilität am Aktienmarkt hat durch die Zurückhaltung langfristig orientierter Anleger aus dem Ausland zugenommen, weitere Kursrückgänge sind nicht auszuschließen, z.B. wenn es zu einer stärkeren Rezession im wichtigen Absatzmarkt USA kommt.
Langfristig bleibt China aber eine Wirtschaftsregion mit überdurchschnittlichen Wachstumsraten. Trotz aller Probleme dürfte das BIP 2023 um mehr als 5 Prozent zulegen. In meinem langfristigen Depot möchte ich nicht auf die sich dadurch ergebenden Chancen verzichten, allerdings übergewichte ich China auch nicht, denn vor allem das politische Risiko darf nicht ignoriert werden.
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Herzliche Grüße und bis kommende Woche
Dein
Lars Erichsen
Chefredakteur Rendite-Report
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